2016 werden in fünf Bundesländern die Landesparlamente gewählt, in zwei weiteren finden kommunale Wahlen statt, bevor es 2017 wieder bundesweit an die Urnen geht. Der pressedienst-fahrrad hat Wünsche an die Politik aus der Perspektive der Radfahrer gesammelt. Fragen nach der Finanzierbarkeit und auf welcher politischen Ebene die dafür nötigen Entscheidungen getroffen werden müssen, wurden dabei bewusst außen vor gelassen.
Erst dieser Tage hat der Radverkehr einen herben Dämpfer hinnehmen müssen: Die Ergebnisse des alle zwei Jahre vom Bundesverkehrsministerium beauftragten „Fahrrad-Monitors“ waren dermaßen ernüchternd, dass sie nicht wie sonst üblich im Rahmen einer Pressekonferenz präsentiert wurden. Zu wenige Radwege und zu viel Verkehr halten laut der Umfrage viele Menschen vom Umstieg auf den Fahrradsattel ab. Kein Wunder, wenn man sich die Mittel vor Augen führt, mit denen man sich im Rahmen des Nationalen Radverkehrsplans 2020 (NRVP) eine Verbesserung erhofft: In Städten und Gemeinden sind gerade mal sechs bis 15 Euro pro Einwohner und Jahr für den Bau und Unterhalt der Infrastruktur vorgesehen.
Mehr Mut und Weitsicht bei der Verkehrsplanung
Am sichersten sind die unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer, wenn sie ihren Raum jeweils für sich haben. Die Entflechtung von Fuß-, Rad- und Autoverkehr ist daher eine häufig gestellte Forderung nicht nur der Radfahrer. Häufig sei dies durch eine kluge Planung möglich, „aber die Verantwortlichen müssen auch den Mut haben, den Verkehrsraum für die Autos zu beschneiden“, unterstreicht Alexander Kraft vom Spezialradhersteller HP Velotechnik. Keine provokative, sondern eine durchaus realistische Forderung: Würden dadurch mehr Menschen aufs Rad umsteigen, wäre auch der immense Platzbedarf für den Autoverkehr geringer, gibt Kraft zu bedenken. Dort, wo die verschiedenen Verkehrsformen aufeinandertreffen, ist es natürlich wichtig, die Radfahrer in den Sichtbereich der Autofahrer zu holen, denn der beste Radweg nützt nichts, wenn er hinter parkenden Autos und Büschen versteckt auf die nächste Kreuzung zusteuert. Kraft findet daher auch die in jüngster Zeit häufiger anzutreffenden, auf der Straße abmarkierten Radstreifen spannend: „Ein deutliches Zeichen, dass der Radfahrer ein Recht auf einen Teil der Fahrbahn hat.“
Dieses Recht wird oft nicht anerkannt, wie Radfahrer aus leidvoller Erfahrung wissen – nicht nur vom fließenden, sondern auch vom stehenden Verkehr: Auf dem Radweg zu parken, gilt im Bewusstsein vieler Autofahrer als Kavaliersdelikt. Mehr Kontrollen spülen natürlich Bußgelder in die öffentlichen Kassen, aber wer nicht die Bestrafung von Autofahrern, sondern eine Lösung des Problems im Blick hat, wird wohl eher auf bauliche Maßnahmen setzen, die ein Fehlverhalten mit einkalkulieren, als auf den erhobenen Zeigefinger. In jedem Fall bleibt, solange Autofahrer einen Teil der Radwege zum Parken missbrauchen, von den für diese vorgeschriebenen und oft sogar noch unterschrittenen 1,50 Meter Mindestbreite nicht mehr viel übrig. Wege mit Minimalbreite seien angesichts neuer Formen der Radmobilität aber ohnehin nicht mehr zeitgemäß, moniert Anne Richarz vom Anhängerhersteller Croozer. Auch Barrieren wie Poller oder Umlaufsperren, die – durchaus mit guten Absichten – etwa vor Straßenübergängen errichtet werden, würden eher dazu führen, dass man sich auf das Hindernis konzentriert anstatt auf die eigentliche Gefahrenstelle. Das betrifft nicht nur Gespanne oder Lastenräder: „Schon mit Packtaschen ist man das entscheidende Stückchen breiter. Moderner Radverkehr braucht Platz – allein zum Überholen oder um unvermittelt auftauchenden Hindernissen gefahrlos auszuweichen“, pflichtet Katrin Dröge vom Transportspezialisten Racktime bei.
Der Bau von Radwegen ist das eine, ihre Pflege das andere. Doris Klytta von Schwalbe weist darauf hin, dass in Vorzeigestädten wie Kopenhagen die Spuren für die Radfahrer bevorzugt geräumt werden: „Das darf aber nicht nur im Winter so sein. Wenn nach Volksfesten die Radwege voller Scherben liegen, ist das zwar ein gutes Verkaufsargument für unsere ,unplattbaren‘ Bereifungen, aber für den Radler grundsätzlich ein Ärgernis. Hier müssen die Kommunen stärker sensibilisiert werden, denn die Radwege werden von der Stadtreinigung oft noch stiefmütterlich behandelt.“
Radfahren nicht nur sicher, sondern attraktiv machen
Eine moderne Radverkehrsplanung geht über den punktuellen Blick auf Schlüsselstellen weit hinaus und betrachtet die Verkehrs- und Lebenswelt gesamtheitlich. Davon profitieren bisweilen sogar Bevölkerungsgruppen, die gar nicht an erster Stelle adressiert werden, wie Guido Meitler vom Kinderfahrzeughersteller Puky anmerkt: „Eine wichtige Forderung ist es, die Spielräume von Kindern autofrei zu vernetzen. Das kommt meistens auch älteren Menschen zugute, die im Verkehr ganz ähnliche Bedürfnisse haben.“
Das große Ganze zählt ebenso bei der Anbindung des Radverkehrs an öffentliche Verkehrsmittel. „Es bringt nichts, am Bahnhof die tollsten Abstellmöglichkeiten zu haben, wenn man auf dem Weg dahin zehnmal an der roten Ampel steht oder sich mit Gottvertrauen durch den Berufsverkehr kämpfen muss“, urteilt Andreas Hombach vom Stadtmöblierer WSM. Was konkret dagegen unternommen werden muss, lässt sich natürlich nur vor Ort klären. Dennoch gebe es auch ein äußerst wirkungsvolles und allgemein wirksames Rezept: „Die Politiker sollten einfach selbst mehr Rad fahren. Dann sehen sie schon, wo die Probleme liegen“, rät der passionierte Radbauer Stefan Stiener von Velotraum. Fußgänger und Radfahrer würden zudem immer noch als „Restverkehr“ aufgefasst. Stiener wünscht sich dagegen, die Fortbewegung mithilfe eigener Muskelkraft als „aktive Mobilität“ zu begreifen und anzuerkennen, dass gerade sie die Basis für das Verkehrsgeschehen darstelle.
Mehr Freiheiten, mehr Möglichkeiten
Neben der zur Verfügung gestellten Infrastruktur geben legislative Maßnahmen Radfahrern Rückenwind – was oft nicht einmal Geld kostet. So könnte etwa eine ganztägige Freigabe von Lastenrädern für den Lieferverkehr in Fußgängerzonen den lokalen Einzelhandel beleben und den allmorgendlichen Einfall der Lkw-Kolonnen eindämmen, schlägt Tobias Spindler von Riese & Müller vor. Die baden-württembergische Zwei-Meter-Regel, die das Fahrradfahren in der Natur beschränkt, trifft einige hundert Kilometer nördlich auf regelrechtes Unverständnis: „Wir haben viele Kunden im Südwesten. Die erzählen uns regelmäßig, dass sie am Wochenende lieber nach Rheinland-Pfalz fahren oder in die Schweiz, wo sie sich willkommen fühlen“, erzählt Vincent Stoyhe vom niedersächsischen Mountainbike-Anbieter Nicolai. Ein bundesweites Phänomen dagegen sei es, dass Veranstalter von Radsport-Events angesichts überzogener Auflagen kapitulieren, bedauert Mareen Werner von Sport Import: „Da wird viel kaputtgeregelt und überreglementiert.“ Darüber hinaus wünscht sie sich aber auch aktive Unterstützung etwa durch die Errichtung von Pumptracks oder ähnlichen Anlagen. Sportbegeisterte Jugendliche als illegal abzustempeln und von öffentlichen Plätzen zu vertreiben, sei einfach; dabei koste es mehr guten Willen als Geld, ihnen Alternativen anzubieten und im Idealfall in die Planung und den Bau der Anlagen miteinzubeziehen. „Klar, die Kids sind nicht wahlberechtigt. Aber das heißt ja nicht, dass man sie einfach übergehen sollte“, appelliert Werner.
Um sehr viel mehr Geld geht es bei der Förderung von Elektroautos. Die Industrie fordert sogar direkte Verkaufsanreize. So mancher fragt sich da, warum nicht gleich ein Mobilitätszuschuss für alle Formen der Elektromobilität diskutiert wird. Anja Knaus von Flyer merkt dazu an, dass E-Bikes schon ohne Finanzspritze eine Erfolgsgeschichte sind. Die für den schweizerischen Pedelec-Pionier arbeitende Deutsche wünscht sich bei den S-Pedelecs in Deutschland eher bessere rechtliche Rahmenbedingungen: In der Schweiz seien die schnellen E-Bikes vor allem auch deshalb stärker verbreitet als in Deutschland, weil die Regelungen E-Bike-freundlicher und weniger einschränkend sind.
Als Radfahrer Eigenverantwortung übernehmen
Es gibt zu guter Letzt auch Stimmen, die weniger an die Politik appellieren als an die Radfahrer selbst. Sebastian Göttling vom Beleuchtungsspezialisten Busch & Müller etwa weist darauf hin, dass die Möglichkeiten, die sich aus der Abschaffung der Dynamopflicht ergeben haben, nicht genügend wahrgenommen werden: „Die Leute haben die lang ersehnte Wahl zwischen Dynamo und Akku, wir haben auf der technischen Seite unsere Hausaufgaben gemacht. Es gibt keinen Grund, jetzt noch ohne Licht zu fahren.“ Das zeigt, dass Radfahrer natürlich selbst ihren Teil dazu beitragen müssen, die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen. Ganz klar kann man angesichts der Erfahrungen aus Ländern wie Dänemark oder den Niederlanden aber vor allem eines sagen: Sicherer wird das Radfahren in erster Linie durch mehr Radverkehr.